IV. Der Tod steht ihnen gut
01.10.2005
Gestern vor 50 Jahren starb James
Dean. Nachdem sich Georg Diez in der ZEIT schon an die
Grenze des Nirwana schrieb ("sie rasen nach Westen, immer nach Westen,
den amerikanischen Weg entlang, auf die Sonne zu, diesen hungrigen Feuerball"),
gibt sich Fritz Göttler in der SZ vom 30.09.05 erstaunlich
unprätentiös.
Seinem Blatt ist der posthum durch drei zuvor abgekurbelte Filme zu Ehren
gekommene Jungschauspieler ein Foto auf der Titelseite wert. Der Sprecher
der Tagesschau (ARD) um 20 Uhr abends kündigt am Todestag
gar den Dean-Bericht in der Spätausgabe vorher an, und so enden die
Hauptnachrichten mit den Worten "raste er in den Tod." (Am nächsten
Tag dann in der ARD wieder das Training für eine Tourenwagenmeisterschaft,
bei der Moderatoren u.a. zu Poesien derart neigen, zu verkünden,
die "empfindlichsten Teile" eines Autos seien eben die Reifen.
Fahrer, das hat sich auch im Fall Dean erwiesen, kann man in der Tat auswechseln.)
Aber zurück zu Herrn Göttler - wenn auch nicht sehr lange. Denn
wie gesagt: Unprätentios ist es heute geworden, und was will man
da sagen. Die Distanz zum Phänomen Dean scheint mir angemessen ("Man
kann sich das nicht mehr vorstellen, wie das gewesen sein muss").
Bemerkenswert aber: Das Phantom lebt. D.h. nicht nur das Phantom Dean,
sondern auch die 'Rhetorik Phantom' aus dem Hause Göttler. Nachdem
zuletzt mehrfach aus Anlass von Petzolds neuem Film die "Phantomrepublik"
mit "Phantomfilmen" ausgerufen worden war (siehe III.
dieser Reihe), ist es nun der Tote auf der Leinwand, der ein solches wird:
"Es war ein Phantom, das die Teenager kurz darauf auf der Kinoleinwand
sahen, und gespenstisch muss es gewesen sein, in 'Rebel Without a Cause',
wie er sich der schwarzen Einsamkeit des Weltalls aussetzte, beim Chicken
Run auf die Klippe zuraste, mit ein, zwei Getreuen dem Lauf des Schicksals
Einhalt zu bieten suchte..."
Göttler sprengt also den engen Gürtel der zuvor gemeißelten
Semantik und lässt sie zu einem satten Tusch aus schwarzer Einsamkeit
gerinnen: Nicht nur die Republik wird in Filmen zum Phantom und die Filme
sind selbst Phantome, sondern hier ist es der Schauspieler, der auf der
Leinwand ein Phantom wird - da würden wir zustimmen -, das aber
nicht nur, weil er auf der Leinwand ist, sondern weil er - dies weckt
den Transkribenten der kinematographischen Sensensorik in Göttler
- bereits tot ist, als der Film seinen Sessel im Leben der Kinogeher erhält.
Nicht nur Göttler trägt ja die schwarze Einsamkeit im Schädel.
Der Chefredakteur der Cahiers du Cinéma, Jean-Michel
Frodon, hat Jim Jarmuschs "Dead Man" (USA/D/J 1995)
noch gut in Erinnerung, als er Broken Flowers in der September-Ausgabe
2005 rezensiert. "De revenir du territoire des morts vers lequel
flottait Johnny Depp à la fin de Dead Man - George Romero,
qui est un gauchiste sympathique et assez naïf, croit en un tel retour,
Jarmusch a beaucoup plus de mal, d'où aussi son long silence comme
cinéaste depuis Ghost Dog, film encore plus fantomatique
que ne l'annonçait son titre."
Naiv, wer noch an die Heimkehr glaubt - dies ist ein "River of No
Return", da liegen die Herren richtig. Und auch bei Frodon also der
modernistisch-offene Satzbau, offen wie die Bilder selbst, offen für
die rettungslose "Morbidezza" (Peter W. Jansen über François
Truffaut). Und auch hier das Bewahren des Arkanums, wie es sich mit der
Ontologie der filmischen Repräsentation hält. Wir werden demnächst
wieder einmal die Mumie fragen.
DH
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