III. Gespensterland ist aufgebrannt
14.09.2005
Nachdem man tot ist, ist man ein
Gespenst. Das wird auch noch Friedkin merken (selbst wenn Göttler
es nicht sagt, siehe den letzten Eintrag
in dieser Serie).
Christian Petzold hat einen Film "Gespenster" (D 2005)
gemacht, der von einer Mutter und ihrem verschwundenen Kind handelt, soweit
ich das der Inhaltsangabe entnehmen kann.
Göttlers Text in der heutigen SZ folgt jenem manisch-depressiven
Schema, dass er in seinen Werken immer wieder bemüht. Zuerst geht
es so los, wie man als jugendlicher Cineast die Filmgeschichte in flimmernden
Impressionen bewundert hat: "Großartig ist an diesem Film seine
Kurventechnik. Jene Momente, wenn die Kamera - zum ersten Mal arbeitet
Christian Petzold über weite Strecken mit Steadicam - die verschiedenen
Figuren verfolgt, wie sie durch Parks oder Kaufhäuser eilen, über
Straßen und Gehwege und Rolltreppen, und rasch um eine Ecke biegen
- und wie dann ein neuer Weg, ein anderes Blickfeld sich dort auftut.
Es ist die eigene Neugier und Entdeckerfreude, die der Film hier inszeniert,
diese Erregung, wenn man unbekanntes Terrain betritt, von der das Kino
schon so viel profitiert hat." Profitiert, gewiss.
Am Ende der nächsten von drei Spalten des Artikels ist der Maniker
Göttler allerdings dann zum Suizidgefährdeten geworden - hier
in einem Referat des "Grimmschen Märchen vom Totenhemdchen":
"Die Mutter kann nicht loslassen, und so lange wird das Kind keinen
Frieden finden. Ewige Wiederkehr, quälende, nutzlose Ritualisierung,
Traumatisierung."
Da wären die Begriffe bei der Hand, die man für die schäbige
Seite der Medienkultur haben könnte: Wiederholung vs. Jetzt, Sinnverlust
und Angst. Aber um seine Stellung als spätkapitalistischer Filmredakteur
nicht zu gefährden, verortet Göttler sie halt im Märchen,
von dem er bald kess behauptet: "Seit Bloch und Benjamin besteht
kein Zweifel mehr daran, dass das Märchen ein realistisches Genre
ist - Märchen erzählen die Welt, sagt Christian Petzold."
Und Onkel Göttler erzählt seinen Lesern ebenfalls gerne Märchen,
denn nicht: "Mit dem Kino, mit den Medien der technischen Reproduzierbarkeit
hat das Gespenstische eine neue, eine nahezu nüchterne Dimension
bekommen." Sondern eher mit Friedrich Kittlers Vorlesungen
über "Optische Medien" (1999), die sich auch in ein paar
Zeitungszeilen erwähnen lassen: Die technische Reproduktion ist eine
neue Ermöglichungsbedingung für das Gespenstische, und es realisiert
bildlich Gespenstergeschichten, die frühmoderner Ästhetik und
der Entwicklung technischer Medien selbst in erheblichem Maß - in
gegenseitiger Inspiration - verbunden sind. Dazu passt der von Göttler
hier zitierte Film "Nosferatu, eine Symphonie des Grauens" (R: Friedrich
Wilhelm Murnau, D 1922) mit seinem Zwischentitel: "Als er über
die Brücke ging, kamen ihm die Gespenster entgegen!" Göttler
weiß wohl mehr, als dass er ahnt, wenn er den Petzold-Artikel weißschimmelnd
"Leben jenseits der Brücke" nennt.
Dass Petzold sage, "Märchen erzählen die Welt", heißt
im Klartext wohl eher, dass man Filme als etwas verstehen könnte,
dass die Märchen der Filmpublizistik um etwas mehr Welthaltigkeit
bereichern, d.h. nicht Märchen realistisch, sondern Märchen
zum Realismus machen könnte. Wenn man wollte - aber Göttler
will nicht. Er faselt lieber schon in der Unterzeile von "Bilder
aus der Phantomrepublik" (Phantom ja, aber Republik? Metapher ja,
aber wofür?). Und bemüht, statt Bloch, Benjamin, Murnau, Grimms
Märchen sowie deren Wörterbuch (in dem irgendetwas "gewissenhaft
vermerkt" sei) und dem Montaigne-Motto "Vivre sa vie" für
Godards Nutten-Drama (F 1962) nicht ausführlicher die Filme
des Regisseurs Petzold, um den es hier eigentlich ja gehen soll.
Da findet sich etwa "Pilotinnen" (D 1995, siehe auch das
aktuelle Denkmal), in dem man unschwer ein Selbstbildnis des Filmhochschul-Absolventen
in einer zur Gangsterbraut gewordenen Kosmetik-Vertreterin sehen kann,
die schließlich, mit dem geraubten Geld im Auto, aber tödlich
verwundet, fragt: "Zu irgendwas muss das hier doch gut gewesen sein."
Das fragt sich wohl mancher, den ein entsprechendes Studium nicht verfrüht
in irgendwelche Praxen geführt hat, sondern der einem Tod ins Auge
geblickt hat. Petzold hat.
Göttler berichtet davon, dass sich das "alte Gespenstergenre"
in Petzold aktuellem Film nur in Gestalt der "Videoaufnahme"
einer Überwachungskamera realisiere. Hier sei "jener Moment
festgehalten, da ein Mann das Einkaufswägelchen mit der kleinen Marie
wegzieht." Menschen in Einkaufswelten - das zeigt auch schon Petzolds
"Wolfsburg" (D 2003) - ein Mensch, umgeben von blitzenden
Limousinen, der mit einer davon ein Kind totfährt.
Da gibt es z.B. noch "Die innere Sicherheit" (D 2000),
wo das Selbstbildnis auf Terroristen mit jugendlicher Tochter (die "Gespenster"-Hauptdarstellerin
Julia Hummer) überspringt, die, wie Göttler einzig anmerkt,
"mit seinen Eltern, ehemaligen RAF-Terroristen, auf der Flucht ist,
ohne Hoffnung, jemals wieder eine Stadt, eine Wohnung als Heim zu erfahren."
Da sind wir wieder, in der "Phantomrepublik", "jenseits
der Brücke", untrüglich im Film, denn vom wem erzählt
Petzold hier - nur von Zufallsganoven und Terroristen, wobei etwa letztere
(Barbara Auer / Richy Müller) als solche inhaltlich
vollkommen indifferent und beliebig bleiben, während erstere als
Frauen-Pärchen (Nadeshda Brennicke / Eleonore Weisgerber)
allerlei filmische Weiblichkeits-Stereotype vom Badeanzug bis zum offensiv
gelutschten Flaschenhals vorführen? Zu irgendwas muss das hier ja
schließlich gut gewesen sein.
Während Göttler vor zwei Wochen noch von den Autojagden bei
Friedkin geschwärmt hat (siehe den Artikel
dazu), erwähnt er hier immerhin auch den vorherigen Petzold-Film:
"In 'Wolfsburg' führt ein Verkehrsunfall - ein Junge wird auf
einer Straße vor der Stadt überfahren - die Mutter und den
Unfallfahrer in eine Beziehung, die immer mehr auf eine Liebe zusteuert."
Willkommen in der "Phantomrepublik", wo Liebe erst beginnt,
wenn die Kinder totgefahren bzw. wenn die Regisseure von Autojagden mit
Nachrufen zu Lebzeiten bedacht sind. Und wo Töchter "ohne Hoffnung"
bleiben, "jemals wieder eine Stadt, eine Wohnung als Heim zu erfahren."
Das gibt es in realen Geschichten sehr wohl und meinetwegen auch als singuläres
Schicksal einer Terroristentochter - aber Trübsinn ist doch wohl
kein Selbstzweck. Erzählt er von etwas? Von mehrerem? Vom Kino selbst?
All das behält sich Göttler vor und schließt mit einem
selbstzerstörerisch-paradoxalen Furioso ab: "Vor der grausamen
Zersetzungskraft dieser Bilder hilft nur die Flucht in die andere Realität,
ins Kino." Gut, wenn man auch das am Ende Gedruckte liest. Jetzt
wissen wir, wo wir hinmüssen. Oder auch nicht. Oder doch.
Nachtrag 15.09.
Heute kartet Göttler mit Kollegin Susan Vahabzadeh in der
SZ ein Petzold-Interview nach. Noch einmal tiriliert das Intro von den
"schönsten Phantomfilmen im deutschen Kino", die zugleich
"unerbittlich nah an der deutschen Wirklichkeit" blieben. Petzold
berichtet hier u.a., dass er als nächstes ein Remake des Films Carnival
of Souls (USA 1962, R: Herk Harvey; US-Remake: 1998, R: Adam
Grossman / Ian Kessner) plane. Sein letzter Satz zur Hauptfigur dieses
Films: "eine Arbeitslose, die eine neue Arbeit will, aber nicht merkt,
dass sie schon tot ist."
DH
|
Publizistik und
Wissenschaft > Chronik des laufenden Göttlers
filmdenken.de-Index
|