IV. Info/Non-Info-Overkill

15.01.2006


Den eigentlichen Kernsatz zur medialen Öffentlichkeit der letzten Wochen, wenn nicht Jahrzehnte, spricht WDR-Intendant Fritz Pleitgen in einer der Sendungen zum 50. "Geburtstag" des Senders: "In 50 Jahren um die Welt" (WDR, 09.01.2006). Er sitzt dabei an der Seite der Auslands-Chefin Tina Hassel, die euphorisch grinsend über die Räusperer und Hüsterchen ihres Vorgesetzten hinweg moderiert. Und der Satz, den Pleitgen am besten noch zu seiner Amtszeit in Stein gemeißelt am Appellhofplatz anbringen lassen sollte, bezieht sich auf seinen Eindruck als Korrespondent, der zunächst unter schwierigen Bedingungen in der totalitären Sowjetunion Bericht erstattet hat und dann in die USA kommt, wo er als Journalist erheblich besser arbeiten kann. Zu diesem Gegensatz der Systeme und den Gründen für die vorläufige welthistorische Überlegenheit der kapitalistischen Variante sagt Pleitgen: "Aber dann habe ich gemerkt, dass dadurch die Stabilität eines politischen Systems entsteht - dass die Menschen glauben, sie werden informiert."

Am übernächsten Tag streiten sich zum selben Jubiläum in der Sendung "Hart aber fair" (WDR, 11.01.2006) mehrere Promis aus den antagonistischen TV-Sendern und -Produktionssystemen über das Verhältnis von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern - passenderweise unter dem Motto: "Werden die Gebühren verjodelt? Fernsehen zwischen Qualität und Quote". Der ARD-Programmdirektor Günter Struve verfolgt dabei wie so oft mimisch die Strategie, den Wahnsinn seines Metiers durch aufgerissene Augen und irres Starren zur Darstellung zu bringen, weil es ihm verbal verboten ist - d.h., dass es ihn ein hohes Monatsgehalt kosten würde, wenn er sagen würde, was er denkt.


Hart aber fair
ARD-Programmdirektor Günter Struve

WDR

Moderator Frank Plasberg spricht ihn mit Ironie auf die Augen-Nummer an (wobei wahrscheinlicher wird, dass er "Die toten Augen von London" noch nicht gesehen hat), doch Struve lässt sich nicht beirren, irr zu spielen. Ebenso souverän bleibt Plasberg, als Profi-Heulboje Ulla Kock am Brink sich bezüglich eines gescheiterten Sendekonzeptes ihrerseits in einer Branchenjargon-Explosion echauffiert: "Das wurde schräg versendet, da gab es keine Penetration."

Plasberg fragt daraufhin nach, ob sie das noch einmal klarer für die Zuschauer sagen könne. Die Frage ist allerdings, ob Frau Kock bzw. am Brink nicht geübt genug darin sein sollte, sich jeweiligen Publika verständlich zu machen. Ich will an dieser Stelle aber auch keinen Interpretationsversuch starten, was sie sonst noch damit gemeint haben könnte. Generell würde es eine Menge bringen, diese Menschen nicht nur über Inhalte, sondern auch nach ihrer Sprache zu befragen. Wenn Jürgen Doetz, Präsident des Verbands Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT), auf seine bewiesene Beteiligung an Product Placement in journalistischen Beiträgen bei SAT 1 angesprochen wird, rettet er sich in eine Formulierung, er werde sich "nicht an dieser Schwarz-Weiß-Malerei beteiligen" - als ob es darum ginge. Und was ist hier "Schwarz" und "Weiß"? Er und seinesgleichen sind es schließlich, die Raubbau an Bedeutung und Vertrauen treiben. Woran Doetz sich beteiligt hat, ist etwas ganz anderes als etwas, wovon die Beteiligten sich mit einer solchen Floskel distanzieren könnten. Und das ist auch nur die Spitze eines Eisbergs aus Nonsens und widerwärtigem Missbrauch an Publikumsinteressen jedweder Art.

Auf die sexuelle Konnotation von K.a.B.s "Penetration" weist Plasberg selbst hin, wird jedoch von Frau Bzw. zurecht zurechtgewiesen, dass man das Festnageln der Zuschauer zu bestimmten Zeiten und Anlässen neuerdings eben "Penetration" nennt. (Wenn's sonst schon keine gibt.)

Struve sagt, von Plasberg kritisch auf einen Fall von Gebührenverschwendung angesprochen, bei dem in der ARD und im ZDF parallel Volksmusiksendungen gezeigt wurden, dass er diesen Fall erstens bereue und dass es sich dabei zweitens nicht um seine "Musikfarbe" handele.

Es ist allerdings wohl noch etwas schlimmer. Am Vormittag des 09.01.2006 etwa kann man in der ARD vormittags die Wiederholung der Sendung "Krone der Volksmusik" vom 07.01. sehen. Moderator Gunther Emmerlich begrüßt im sonnendurchfluteten Zimmer um ca. 10.30 Uhr vom Bildschirm mit den Worten: "Guten Nabend, meine Damen und Herren." Das Publikum will es so richtig krachen lassen und klatscht sich in Rage, als würde es jetzt schon die Zugabe fordern. Emmerlich gibt dann einen schauderhaften Comedy-Versuch, indem er zunächst behauptet, er habe sich gründlich auf die Sendung vorbereitet. Währenddessen weist er mit seinem rechten Zeigefinger auf den Ort seines Oberkörpers, wo sich jenes Organ befindet, das zum Abbau jener Stoffe verantwortlich ist, die den vorausgegangenen Klatsch-Exzess befeuert haben dürften. "Meine Leber ist sinnlos", hat Werner Schwab gesagt und behält auch hier Recht. Emmerlich fährt fort, indem er einer Art philosophischer Frage nachgeht, was Volksmusik denn nun eigentlich sei. Er fängt mehrere Sätze an, die er sogleich wieder abbricht, und kommt dem Sinn nach zu dem Schluss, dass dort, wo gesungen werde, man eben nicht denken müsse - und dann kommt schon die nächste Musi auf die Bühne.

Als logische Konsequenz aus all diesen offensiven, halb- und pseudo-ironischen oder versteckten Seitenhieben, Selbstkritiken und Publikumsbeschimpfungen wirkt dann der Schluss des Spielfilms "Mord in den Wolken" (USA 1957, R: Andrew L. Stone) im ARD-Nachtprogramm des 15.01.2006. In dem kruden Krimiplot ist Doris Day dazu gezwungen, als Stewardess ein führerloses Flugzeug zu steuern, was sie mit Angstschweiß und Bravour absolviert. Zuvor hat sie noch die Passagiere gefragt, ob sich ein Pilot unter ihnen befinde, der die beiden mittlerweile erschossenen Flugkapitäne vertreten könne. Auf die Frage eines anwesenden Arztes, sie habe doch damit hoffentlich keine Panik ausgelöst, antwortet sie: "Keine Angst, ich habe es so formuliert, dass sie dachten, ich hätte etwas ganz anderes gemeint." Day alias Kappelhoff scheint sich im US-Film also mit dem späteren US-Korrespondenten Pleitgen ("dass die Menschen glauben, sie werden informiert") über die Distanz von 49 Jahren vollauf einig zu sein. Nach der Landung kommt einer ihrer Lotsen am Boden zu dem auch hier mottomäßig schwer relevanten Schluss: "Ein zweites Mal möchte ich das nicht erleben - um keinen Preis." Pleitgen hingegen wünscht am Ende seiner Sendung noch viel Vergnügen für die nächsten 50 Jahre.


DH

Fernsehen > Stream of Unconsciousness

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