II. Unordnung und saure Milch
03.10.2005
Dass
es keine Hexen mehr gebe, ja, nie gegeben habe und nie geben würde
- mit diesem Irrmärchen muss nun endgültig aufgeräumt werden.
Und wo Hexen sind, ist auch Inquisition - mit anderen Worten: das ZDF.
Wo auch in den Mittagsstunden der Morgennebel
noch trockeneisschwer in so etwas wie Pinienzweigen schwärt, kann
man seine Frau nicht einfach erschießen, ohne dann sofort als Krimineller
abgestempelt zu werden. Deshalb bedarf ES metaphysischer Begründungsstrategien
wider den Protonormalismus von gefälschten Sprossenfenstern der Monogamie.
Die "Der Alte"-Folge "Ein Mord kommt selten allein"
(Folge 255, D 1999, R: Gero Erhardt, B: Volker Vogeler)
fällt in das Fach der großen Bürokratie-Tragödien.
Hier ist es einerseits die Inquisition, andererseits die Abgründigkeit
vorgeblich moderner Frauen, hinter deren Fielmann-Accessoires der böse
Blick von denen Hexen lauert. Ja, die Milch ist sauer - daran lässt
ein früher Dialog dieser Folge keinen Zweifel. Eine scheinbare Nebensächlichkeit,
die sich aber in der Promiskuität der Damen des Hauses grausam bewahrheiten
soll.
Wenn die Büttel der Inquisition auch die Streckbank mit dem Diktiergerät
vertauscht haben - gedehnt wird immer noch nach Herzenslust. "Immer
melden - lieber einmal zuviel als einmal zu wenig", so die Anweisung
Heymanns (Michael Ande) an die beiden unverhofft weiblichen Beamten,
die hier observieren.
Zur Handlung: Durch den Mord an dem vitalitätsstrotzenden Tom Eschwege
(Joachim Kretzer) - stilecht beim Einlochen auf dem Golfplatz (ein 17.
Loch am 16. Grün per Präzisionsgewehr) - wird der profanen Welt
im Opfer das Heilige zurückgegeben, wodurch die Trugburg des Ehebruchs
vorerst geschleift ist. Was bleibt, sind die Trümmer einer Arztfamilien-Idylle,
deren weibliche Angehörige sich dem Gespielen hingaben.
Weit entfernt davon zu moralisieren, blickt Heymann in die Wundmale der
Bürgerlichkeit, wenn er verkündet: "Irgendwann muss da
ein Mord passieren, das ist eigentlich logisch." Damit ist er als
Märtyrer des Seriellen zugleich der Chor dieser Tragödie.
Autor Vogeler verfällt in dieser Arbeit von 1999 zudem in eine Pastiche
von Nabokovs "Lolita", wenn er die blutjunge Tochter des Hauses
- auch sie Eschwege verfallen - aus dem Internat ans heimische Telefon
holt, wo sie erfahren muss: Er ist nicht mehr. Dies sagt ihre Mutter
noch per Handy vom Golfplatz aus, lässt sogleich das mobile Fon hinabsinken
und ihre Tochter in ihrer tränenreichen Trauer allein.
Am Tatort auch auftritt Kress (Rolf Schimpf) - flankiert von segnenden
Handgesten Riedmanns (Markus Böttcher) -, Ordnung in das Nebulöse
und Außereheliche des Tableaus zu bringen. Am Tatort auch auftritt
Kress (Rolf Schimpf) - flankiert von segnenden Handgesten Riedmanns (Markus
Böttcher) -, Ordnung in das Nebulöse und Außereheliche
des Tableaus zu bringen.
Und große
Verlegerpersönlichkeiten, wie Eschwege eine war, reißen, wenn
sie gehen, tiefe Kluften nicht nur in die Print-Öffentlichkeit, sondern
auch in den Seelen von Chefsekretärinnen, wie Gundi Ellert sie hier
kongenial verkörpert. Tränen hinter einer Fensterscheibe, die
wie so viele in dieser Folge das Herbstlaub spiegelt, die Protagonisten
gleichsam werden lassen zu Blättern unter Blättern. Durch die
Wucht der Todesnachricht zum Einsturz gebrachte Bücherstapel, wie
sie die Nagel zuvor an ihr Herz presste, drängen nichtsahnende Meditierende
des Vorabendprogramms an den Rand des Herzinfarkts. Ein zu hoher Preis
für Kunst?
Überhaupt,
die Nagel und ihr großes Herz: in selbigem wohnt Georg Eschwege
(Hans-Georg Panczak), Bruder des Toten, Erbe des Verlagsimperiums und
als ehemaliger Zuchthäusler vorläufig hauptverdächtig.
Monumental-ergreifend auch die Großaufnahme des weinenden Georg,
der fortan über jeden Verdacht erhaben ist. Das heimliche Glück
der Nagel und Georgs ist auch die einzige Morgenröte in der trüben
Meteorologie dieses Hexenhammers, die ein erfülltes Leben als Möglichkeit
noch erahnen lässt.
Gott also sei der armen Seelen der hexy rotation gnädig -
noch unsere Kindeskinder werden wohl von dieser Heimsuchung erfahren dürfen.
Michael
Böhnke / Daniel Hermsdorf / Benjamin Heßler
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