Roundup, Rad ab

08.06.2008

Zu den Leitmotiven der Gespräche in diesen Tagen gehört der Eindruck, den der Dokumentarfilm "Le Monde selon Monsanto" (Monsanto, mit Gift und Genen, F/CAN/D 2008, R: Marie-Monique Robin) bei mir bewirkt hat. Zu den Befürchtungen, die unabhängige Gutachten zu genmanipulierten Nahrungsmitteln äußern, gehören schwere Erkrankungen wie Darmkrebs. Der amerikanische Konzern Monsanto erobert in diesen Jahren den Weltmarkt mit seinem Produkt "Roundup", das genmanipuliertes Saatgut mit einem Pestizid kombiniert. Z. T. wird bei der Anwendung eine Steigerung der Menge des angewendeten Pestizids notwendig, was die beworbene Preisersparnis reduziert und dem Konzern höhere Gewinne beschert - so die Dokumentation. Robin berichtet von Schäden bei Mensch und Tier durch das Gift. In Indien gehen Bauern in Konkurs, weil sie von der Preispolitik des Konzerns abhängig werden, und bringen sich zu Hunderten um, indem sie das Gift selbst trinken. Vor ein paar Wochen hat das 3sat-Kulturmagazin "kulturzeit" eine Rubrik mit Kurznachrichten in "Roundup" umbenannt.

Ich werde darauf hingewiesen, dass einer der berühmten Sätze in "Casablanca" (USA 1943, R: Michael Curtiz), im Original heißt: "Round up the usual suspects." ("Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen.") Der Sender "arte" zeigt Robins Film wiederholt, ich zeichne ihn im dritten Programm des Westdeutschen Rundfunks auf, wo er - wie bei arte - spätabends ausgestrahlt wird. Die Zahl von Zuschauern, die zu solchen Zeiten solche Sendungen einschalten, bewegt sich gewöhnlich um 1 Mio. Eine niedrige siebenstellige Zahl von Menschen dürfte es sein, die in Deutschland diese erschütternden 110 Min. gesehen haben. Zur besten Sendezeit, in den Hauptnachrichten, wird in den letzten Tagen jedoch nur von einem anderen, weniger dramatischen Ereignis aus der Landwirtschaft berichtet: Deutsche Bauern streiken, um den Milchpreis um ein paar Cent zu erhöhen. An mehreren Tagen in Folge wird darüber berichtet, und am Ende lenken Supermarkt-Discounter und Großhändler ein. Das ist zu begrüßen und hätte eigentlich keiner großen Aufregung bedurft.

Aber was ist mit dem Thema genmanipuliertes Essen? Liest man in einem Bericht des Naturschutzbundes Deutschland e. V. (NABU), streckt Monsanto auch in Deutschland eher unauffällig, aber wirkungsvoll seine Fühler aus:

"Trotz erheblicher Bedenken von NABU und anderen Umweltverbänden hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) Freisetzungsversuche mit Gen-Kartoffeln und Gen-Zuckerrüben genehmigt. […] Der NABU warnt vor den Gefahren gentechnischer Freilandversuche. Besonders heikel ist dies beim jetzt genehmigten Anbau von Zuckerrüben in Mecklenburg-Vorpommern. "Hier gibt es wilde Rübenarten, mit denen sich die gentechnisch veränderten Zuckerrüben auskreuzen können", erläutert NABU-Gentechnik-Referentin Dr. Steffi Ober. 'Dieser Vorgang ist irreversibel.' Die Zuckerrüben wurden genmanipuliert, um sie gegen das Totalherbizid Roundup der Firma Monsanto resistent zu machen. Dieses tötet unspezifisch alle Ackerunkräuter, es kommt zu einer stark verarmten Landschaft, in der Ackerkräuter als Futtergrundlage für Bienen, Vögel und Schmetterlinge fehlen."

In der Presse ist davon kein großes Aufhebens gemacht worden, soweit ich das mitbekommen habe. Und es gibt wohl keine Gesetze, die den Menschen, die von solchen Machenschaften betroffen sind, ein unmittelbares Mitspracherecht einräumen. Eine Behörde erteilt die Genehmigung, und damit sind vollendete Tatsachen geschaffen. Heute Nacht sehe ich Folge 144 der Serie "Derrick", "Der Fall Weidau" (D 1986, R: Alfred Weidenmann). Die alte Dame Katharina von Turban (Inge Birkmann) stellt sich darin als die Giftmörderin zweier ihrer erwachsener Enkel heraus, da sie in dieser Welt keine Perspektive mehr für diese sieht. So deutet es sich in ihren Worten gegenüber dem ermittelnden Serienhelden Stephan Derrick (Horst Tappert) an:

"Sie beschäftigen sich doch ununterbrochen mit diesen allgemeinen Auflösungserscheinungen, die unsere Erde heimsuchen. […] Welche Chance hat die Erde noch? Beantworten Sie mir diese Frage. Welche Chance geben Sie den Menschen noch? Bessern die sich, ändern die sich? Oder muss man nicht sprechen von einem… schrecklichen endlichen… Hinsturz in ein ganz und gar ruhmloses Ende?"

Dieser - in Werken des Serienautors Herbert Reinecker nicht selten geäußerte - Kulturpessimismus wirkt - in einer Aufzeichnung der Serienfolge vom Programmschema unabhängig abgerufen - leider nur allzu passend zum aktuellen Mediengeschehen. Ein Beispiel: Im Finale der RTL-Castingshow "Deutschland sucht den SuperStar" nimmt das Jury-Mitglied Dieter Bohlen die vorletzte Talentprobe des schließlichen Zweitplatzierten Fady Maalouf am 17.05.2008 vor knapp 6 Mio. Zuschauern mit den Worten entgegen:

"Ja, Fady, wenn du singst, deine Songs, das erinnert mich immer dran, als ich ein kleiner Junge war. […] Also, als ich ein kleiner Junge war, und es war dann ganz, ganz kalt im Winter. […] Da hab ich mir oft in die Hose gepinkelt. Und das war eben auch immer so'n unheimlich schönes warmes Gefühl, genau, wie wenn du singst. Also, mir hat's sehr, sehr gut gefallen."

Mit solchen Inhalten lassen sich z. Zt. die meisten Zuschauer vor den Bildschirm locken. Kein Wunder, dass sie keine Sensibilität dafür entwickeln, wenn Industriekonzerne ihre Lebensgrundlagen bedrohen und sie weiter in ökonomische Abhängigkeit treiben. Bei manchem, was man als Dokument des Interesses dieser Massen sieht, drängt sich sogar die Einsicht auf, dass sie es nicht besser verdient haben. Fragt sich nur, ob das von ihnen ignorierte Unheil nur sie selbst trifft. In vielem, was man als Mensch in einer technisierten, wirtschaftlich (noch) erheblich bevorteilten westlichen Welt aus freiem Willen heraus tun kann, liegt ja Gewalt und Zerstörung, die andere - in entfernten Weltregionen, als heute noch Ungeborene in der Zukunft - erleiden müssen. Das "ruhmlose Ende" wird jedoch offensichtlich von einigen inszeniert, denen daraus kein (unmittelbarer) Nachteil erwächst… .

Daniel Hermsdorf

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