Was Sie noch nie über "Pro 7" wissen wollten

21.12.2007


Am Samstag, den 15.12.2007, sendet der Privatkanal "Pro 7" ab 15.35 Uhr zwei Folgen der Serie "Scrubs" (Scrubs - Die Anfänger, USA 2001ff.). Die Serie zeichnet sich durch eine flotte Machart aus. Jede Szene endet nach wenigen Wortwechseln, neckische Ideen bei Schnitten und Überblendungen verbinden Realität und Fantasien von Figuren. Es geht - einmal mehr - um das Personal eines Krankenhauses, wobei fast ausschließlich das Liebesleben der vorwiegend im Ausbildungsstatus befindlichen Akteure thematisiert wird.
Die Serie wendet sich augenscheinlich an ein jugendliches Klientel. Der Sendetermin ist ideal, um selbiges zu adressieren.

So weit, so business as usual. Sieht man sich die erste Folge des erwähnten Nachmittags an, ergeben sich Relevanzen für Diskussionen, die von Pädagogen und Medienpolitikern gern auf allgemeiner Ebene geführt werden. Für eine Serie wie "Scrubs" gilt, dass sie wie das meiste andere, was über Bildschirme flimmert, allenfalls bei der Erstausstrahlung einmal einen Artikel in entsprechenden Rubriken von Zeitungen wert ist. Danach folgt eine oft jahrelange 'Auswertung' des meist aus den USA stammenden Sendematerials, die sich zwar nicht praktisch, wohl aber faktisch jedweder sekundären Öffentlichkeit entzieht. So etwas sieht sich niemand freiwillig an, der eine Ambition hätte, es zu kritisieren. Und bei "Format"-Überlegungen in den Medienredaktionen der etablierten Presse würde es vermutlich heißen: Wo ist der Aktualitätswert? Wie soll man das anmoderieren? Kommt das nicht schulmeisterlich rüber, wenn wir das jetzt kritisieren? Und - ob ausgesprochen oder nicht: Was erzählen wir dem Werbemenschen von Pro 7, wenn wir das nächste Mal eine Anzeige akquirieren? Oder: Wollten wir diese Kultur nicht sowieso gegen die Wand fahren?

Medienpolitik und -pädagogik geben sich, wie gesagt, ja durchaus besorgt um das Wohl der Jüngeren. Die deutlichsten Töne kommen meist aus dem konservativen bzw. katholischen Bereich. So heißt es in einem Interview der "Jungen Freiheit" mit Gabriele Kuby (21.09.2007): "Die Sexualisierung der Jugend durch Staat und Medien zerstört in der nächsten Generation die charakterlichen Voraussetzungen für eine stabile Familie, damit meine ich – das muß man heute betonen – die lebenslange Ehe zwischen Mann und Frau und die Kinder, die daraus hervorgehen."

Eine Meldung der "Ärztlichen Praxis" vom 22.02.2007 bezieht sich auf eine empirische Studie und richtet die Aufmerksamkeit auf den psychologischen, nicht den soziokulturellen Aspekt: "Sexualisierte Darstellungen in Illustrierten, Fernsehen, Videospielen und Musikvideos haben schädliche Auswirkungen. Zu diesem Schluss kam eine Arbeitsgruppe der American Psychological Association. Sexualisierung könne zu einem Mangel an Vertrauen in ihren eigenen Körper sowie zu Depressionen und Essstörungen führen und negative Auswirkungen auf die sexuelle Entwicklung der Mädchen haben. Das Team um Eileen Zurbriggen analysierte Studien zum Inhalt und den Auswirkungen von Fernsehen, Musik, Videos, Songtexten, Illustrierten, Filmen, Videospielen und dem Internet. Zusätzlich wurden Werbekampagnen und das Merchandising von Produkten überprüft. Sexualisierung wurde dahingehend definiert, dass der Wert einer Person nur auf ihrem Sex-Appeal oder Sexualverhalten beruht und dass andere Charakteristiken ausgeblendet werden."

Nimmt man solche Argumente - in welchem Umfang und welcher Deutung auch immer - ernst, werden sich die Programmverantwortlichen eines Senders wie "Pro 7" (Geschäftsführer: Andreas Bartl) wohl einmal der nachhaltigen - und nicht auf 60 Minuten mit fünf Gesprächsteilnehmern zusammengehetzten und praktisch, weil juristisch wirkungslosen - Diskussion stellen müssen. Was dann mit ihrem Programmangebot geschähe, steht hoffentlich einmal auf einem anderen Blatt. Dies ist jedenfalls die Einschätzung, die entsteht, wenn man aus den 20 Minuten der ersten Folge dieses Samstagnachmittags einmal die für eine "Sexualisierung" relevanten Dialogsätze (hier ohne Kontext und Rollennamen wiedergegeben) extrahiert. (In Zeitungen und Online-Journalen mit bezahlten AutorInnen wird fast nie aus besprochenen Spielfilmprodukten wörtlich zitiert, schon gar nicht über ein, zwei Zeilen hinaus. Warum? Deshalb?)

 

Dialogzitate aus der deutschen Synchronisation der "Scrubs"-Folge "My Cold Shower"
(Meine kalte Dusche, USA 2007, B: Janae Bakken, R: John Inwood, Pro 7, 15.12.2007, 15.35-16.00 Uhr)

"Tust du mir heute abend 'n Gefallen, bei dem du absolut nichts zu machen brauchst? [...] Schläfst du heute mit mir?" [...] - "Wenn du nicht emotional bereit wärst, würdest du dann Sex wollen?"

"Wie oft bis du dieses Jahr flachgelegt worden?"

"Keith und ich haben auf jeden Fall April-Verlobungssex morgen abend nach dem Antrag. Hast du das lila Spitzenhöschen gekriegt?" - "Ja. Keith wird total geil drin aussehen. [...] Stimmt halt doch - wer als erster'n Dreier mitmacht, heiratet als Letzte." [...] - "Wart ihr zwei Mädchen und ein Kerl oder war's ein teuflischer Dreier?" - "Nur Mädchen."

"Er hätte ganz gerne, dass du ihm deine Möpse zeigst, meine haben ihn anscheinend nicht ganz überzeugt."

"Seid gegrüßt, unbekannter Reisender. Würdet Ihr euch mit mir paaren heute nacht?" [...] - "Komm schon, Alter, das ist 'ne endgeile Meerjungfrau, die musst du dir vornehmen."

"Du siehst vielleicht geil aus heute, Schnecke." - "Nimm mich." - "Jetzt geht's rund."

"Ich bin so scharf, dass ich schon davon fantasiere, wie ich's mit meiner eigenen Frau treibe." [...] - "Das verdammte Internet geht nicht. Wo soll ich mir jetzt sexuelle Befriedigung verschaffen - bei meiner invaliden Frau?"

"Lass deine Hände nach oben wandern. Nächster Halt: Mopshausen. Einwohnerzahl: zwei."

"... Man kann sich bloß damit trösten, dass sonst auch keiner zum Schuss kommt."

"Unsere Freunde [...] bekommen ab sofort eine Runde Penicillin. Und zwar gegen ihre was? Gegen ihre Geschlechtskrankheit. [...] Man glaubt es kaum, doch unsere Süßigkeiten verteilenden superfröhlichen Großeltern haben beide..." - "Syphilis!"

"Siehst du, wenn Menschen alt werden, gibt es gewisse Dinge, die sie nicht mehr tun können, wie schneller als 30 Stundenkilometer fahren oder menschenähnlich riechen, aber... was sie verflucht noch mal tun können, ist, so lange Sex zu haben, bis sie den Löffel abgeben. Eine breite Auswahl an Potenzmitteln hat dazu geführt, dass sexuell übertragbare Krankheiten bei unseren älteren Mitbürgern jetzt 300 Prozent häufiger vorkommen." - "Uaäh, alte Menschen und Sex, das ist eklig." - "Ach ja? Wissen Sie, manchmal werfe ich auch ein paar von den blauen Bomben ein und mache heftig einen drauf. [...] Nur damit sie Bescheid wissen: Gerade erst heute morgen hab ich Enid auf die Schutzleiste der Anrichte in unserer Küche gehievt, und dann haben wir es so wild getrieben wie besoffene Primaten."

"Kameraden - hab gehört, 'ne alte Fregatte in Zimmer 309 muss mal poliert werden." - "Todd - sie ist 68 und hat Syphilis."

"Ich bin verheiratet, also hab ich vielleicht nie mehr im Leben Sex, aber du, du hast noch 'ne Chance."

(Über die lesbische Fantasie einer Verheirateten:) "Vorher sollten wir zärtlichen, gefühlvollen Sex haben, dann kuscheln, und dann gehen wir Schuhe kaufen. [...] Das Leben wäre so viel einfacher."

"Sag's du ihnen, dass sie 'n Gummi nehmen müssen, wenn sie ausflippen und lospoppen."

"Wie sich herausstellte, hat Mrs. Sheldon jeden Sonntag nach der Bridge-Partie gepimpert. [...] Gepimpert mit Howard Steinberg, der anscheinend weit mehr ist als nur der Bingo- und Tangopartner von Estelle Stevens, die nicht bloß ein künstliches Hüftgelenk hat, sondern auch ein bekanntes Flittchen in Mr. Bilbrays Altenheim ist." [...] - "Herzchen, ich verrate Ihnen ein Geheimnis in Sachen Sex - er verleiht einem Vitalität."

"Ich sag dir, was jetzt schon stramm steht."

"Du bist doch keiner von denen, die sich Kerben in den Bettpfosten schnitzen. Wieso willst du so dringend mit mir schlafen?""

 

So einer ist Hans-Joachim Otto (FDP), "Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages", ganz bestimmt nicht. Er macht sich - laut Pressemeldung vom 13.09.2006 ("Vorschlag der Medienwirtschaft unterstützenswert") - lieber Sorgen um die möglichen Einschränkungen der Werbung für Glücksspiele im Internet mit der Begründung: "der Ausbau der Breitbandpenetration" werde "durch solche Maßnahmen behindert". In einer anderen Meldung am selben Ort ("GEZ-Gebühr paßt nicht ins Internetzeitalter") perhorresziert er die "Schnüffelaktivitäten der GEZ" und befürwortet eine "Abgabe von 9 bis 11 Euro", die damit "auch niedriger als die momentane Rundfunkgebühr" sein würde. Am Beispiel "Pro 7" sieht man, dass dann zumindest dem Flachreden, äh, Flachlegen nichts mehr im Wege stehen würde. Auf Datenautobahnen und in anderen Medien, so Otto, gelte freie Fahrt (ebd., Meldung "Neue Anforderungen für neue Medienordnung"): "Eine pluralistische und liberale Medienordnung bedingt einen freien Zugang vom Inhalt zum Kunden und einen freien Zugang vom Kunden zum Inhalt. Diskriminierungen am 'Flaschenhals' der Infrastrukturen und Plattformen widersprechen ordnungs- und wettbewerbspolitischen Grundsätzen."


Scrubs - My Cold Shower
USA 2007. R: John Inwood

Pro 7

Doch von der FDPenetration mit dem "Flaschenhals" noch einmal zum Thema. Die katholische Seite "kreuz.net" berichtet am 21.09.2006 unter der Überschrift "Halbe Kinder, verfallen ihrem Sexualtrieb": "Zwischen 1996 und 2003 stieg die Zahl der Abtreibungen bei minderjährigen Müttern um 61,8 % auf 7.645 Todesfälle. Das ergibt sich aus einem Bericht der deutschen Bundesregierung. Bei Mädchen unter 15 Jahren hat sich die Abtreibungszahl im gleichen Zeitraum mit 715 Todesfällen sogar fast verdoppelt. Die Bundesregierung redet diese dramatischen Zahlen als 'nicht besorgniserregend' klein. Die Verdopplung der Abtreibungszahlen bei unter 15jährigen Müttern wird als 'leichter Anstieg' verharmlost." Dass am Samstagnachmittag um 15.35 Uhr u. a. genau jene Altersgruppe "Pro 7" einschaltet, die dort ausführlicher verbal auf "Pimpern" eingestellt wird, als die potenziell folgende Situation in der Schwangerschaftsberatung kennenzulernen, bedarf eigentlich keiner weiteren Erläuterung.

Dass für solche TV-Inhalte eine Nachfrage besteht, ist offensichtlich. Dass dieser nachgekommen wird, liegt in der wirtschaftlichen Logik eines Privatsenders. Ob bei den zitierten Dialogsätzen nach geltendem Recht eine Verletzung des Jugendschutzes gegeben ist, scheint fraglich und wurde de facto abschlägig beschieden. Es geht dabei wohl eher um eine kulturelle und geschmackliche Entscheidung, die weder juristisch noch ökonomisch definierbar ist - schon gar nicht durch TV-Manager mit teuren Hobbies. Wenn man diese Art der Entscheidung zudem strukturell und praktisch ausschließt, indem auch die gesellschaftliche Debatte über Medieninhalte partiell an die Finanzierung durch private Medienanbieter gekoppelt wird, passiert, wie wir sehen, Folgendes: fast nichts. Bei Herrn Otto & Co. sorgt man sich jedoch eher um "Zwangsgebühren" der GEZ (die die zumindest wählbaren, aber in der betreffenden Zuschauergruppe nicht so populären öffentlich-rechtlichen Anbieter finanziert), und es steht zu befürchten, dass jedwede Diskussion um Medieninhalte mit Wirtschaftsliberalen enden würde wie Ottos auf Werberestriktionen bezogene Formulierung, es handle sich um "Internetzensur, wie wir sie sonst eher aus China kennen".

Dann schon lieber Flaschenhälse, wie wir sie aus den USA kennen. Und wenn man mal eine Folge "Scrubs" verpasst? Kein Problem: Für alle über 2 Promille und/oder unter 6 Jahren gibt es sonntagmorgens um 6 Uhr die Wiederholung.


Daniel Hermsdorf

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