Just Vela No Tele
05.12.2005
Gemäß der antizyklischen
Tendenz von "filmdenken.de" sei hier ein für journalistische
Verhältnisse längst in den Urgründen des Altpapiers versunkener
Artikel des SPIEGEL (Nr.40/01.10.2005, S.214-216) aufgegriffen.
Thomas Tuma schreibt unter der Überschrift "Seichtigkeit
des Scheins" eine durchaus gepfefferte und amüsant zu lesende
Polemik gegen die neu ins Programm gebrachten Telenovelas der Öffentlich-Rechtlichen.
Zum Einen beobachte ich die Szene der TV-Serien als Nicht-Serien-Gucker
seit der Arbeit an einer Video-Collage mit etwas mehr Wissen ums Programm-Schema.
(Nach ca. 40 Einzelfolgen von Serien weiß man schon in etwa, worum
es geht.)
Zum Anderen bringen die Segnungen eines Festplattenrekorders mit DVD-Brenner
es mit sich, dass man in einem täglichen Ritual des Archivars Aufnahmen
nachbearbeiten und Brennvorgänge starten muss. Dabei schaltet man
zu Zeiten, wo man sonst nicht fernsieht, den Fernseher ein und sieht,
was Menschen sehen, die zu dieser Zeit fernsehen. Da kann man dann nur
einem Passus von Robert Kurz im "Schwarzbuch Kapitalismus"
zustimmen: "Waren vormoderne Freisassen, die alle Grundbedürfnisse
reichlich befriedigen konnten und deren soziale Verhältnisse vergleichsweise
stabil waren, etwa deswegen 'ärmer', weil sie ihr Hirn nicht mit
über die Mattscheibe flimmernden Seifenopern betäuben konnten?"
(Kurz, Robert: Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft.
Frankfurt a.M. 2005, 4. Aufl. [OA.: 1999], S.20f.) Der Autor schreibt
hier über Bewohner brasilianischer Slums, die zwar hungern, aber
einen Fernseher besitzen.
Nun, wir in Deutschland hungern nicht. Und wir leben auch länger
als die meisten Menschen vergangener Jahrhunderte, von denen Kurz in z.T.
starker Rhetorik sagt, sie hätten kürzere Arbeitszeiten gehabt
als die Menschen heutiger Tage. Deshalb haben wir offensichtlich Zeit,
sehr viele sinnlose Fernsehsendungen anzusehen.
Um zu Tumas Artikel zurückzukehren: Neben der auch hier vorfindlichen
berechtigten Polemik fällt eine Tendenz auf, der ich auf dieser Website
eine Quellenlektüre von Serientexten gegenübergestellt habe
(und zwar hier).
Ich meine damit: Berichterstattung über Medienereignisse hat
wesentlich zwei Schwächen: Zwang zur Aktualität, wodurch das
meiste, was geguckt wird, nie Thema der Berichterstattung ist, weil es
nicht "neu" ist. Und zweitens die Neigung zur vorgeblichen Realgeschichte.
Eine Institution wie die Medienseite der "Süddeutschen Zeitung"
vermittelt dem Normalverbraucher proportional mehr Informationen über
medienwirtschaftliche Einzelereignisse und Personalia - wofür derjenige
dankbar ist, der nicht den "Kress Report" liest und was es da
sonst noch geben mag.
Mit der nutzerseitigen "Realität der Massenmedien" hat
das freilich nur wenig zu tun. Denn die findet auf den paar Quadratzentimetern
Bildschirm statt, die sich in Wohnräumen befinden.
Tuma zieht in seinem Artikel genüsslich ARD-Programmdirektor Günter
Struve durch den Kakao: "Abteilung schläfrige Altersmilde".
Oder, zunächst in Wiedergabe von Struves Worten, dann der Reaktion
von dessen Sprecherin Frau Maric: "'Ich selbst habe diese bildungsbürgerlich-akademische
Attitüde hinter mir gelassen. Das muss man auch, sonst würde
man ja zynisch werden.' Frau Maric ist jetzt schon ein einziges, chronisches
Augenrollen, was angesichts des Sujets nicht weiter verwundert."
Neben solchen konkreten Beschreibungen des Verhaltens von Struve und den
Facts über die Programmentscheidungen für Telenovelas streut
Tuma eher satirische Aufzählung von einzelnen Handlungsklischees
ein, die diese Serien ausmachen: "wahlweise blondeste Töchter,
alerte Demnächst-Schwiegersöhne oder wenigstens Anton, der Chauffeur."
Das gehört zu diesen Serien. Jedoch: Der Schwachsinn hat Methode.
Und die kann man nur am Text von Serien selbst erweisen und nicht in launigen
Parodien. Um es klar zu sagen: Was Funktionäre wie Struve im Programm
von ARD und ZDF für mehrere Sendestunden des Tages mit Einkäufen
und Eigenproduktionen etabliert haben, ist eine systematische Zeitvernichtungs-,
Verblödungs- und Beschimpfungsmaschine. Wie intelligent die AutorInnen
dieser Serien - ich meine jetzt jene von "Sturm der Liebe" (ARD)
oder "Julia - Wege zum Glück" (ZDF) - auch immer sein mögen
- es schimmert schon durch, dass sie die textimmanenten Selbstkritiken
des filmischen Mediums seit seinem Anbeginn wohl zur Kenntnis genommen
haben. Und diese bauen sie in einem grauenhaft selbstähnlichen Prinzip
zu immer neuen Szenen zusammen.
Zwei Beispiele aus dem Gedächtnis zitiert: In der erste Folge von
"Sturm der Liebe" kommt eine Freundin der Hauptfigur in deren
leerstehende Wohnung. Wer einen Film wie "Baxter, Vera Baxter"
(F 1977, R: Marguerite Duras) gesehen hat, kann mit der
Rhetorik der Leere und ihren Aussagen über den ontologischen Status
des Bildes etwas anfangen. In einer billigen Serienproduktion für
das Nachmittagsprogramm des deutschen Fernsehens wird so etwas zur Farce:
Minutenlange inhaltslose Dialoge über irgendjemand, der hier einmal
gewohnt hat und jetzt weg ist. Das ist - die Paradoxie sei erlaubt - ein
Kern dieses hohlen Pathos von TV-Serien: Sie fahren permanent Selbstdefinitionen
auf (hier wiederholt sich alles; hier ist niemand, auch wenn es so aussieht;
hier ist eine Bildfläche, auch wenn es nach einem Raum aussieht;
was hier erzählt wird, sind letzte Schwundstufen von Realismus und
Fantasterei gleichermaßen; was hier erzählt wird, ist das,
was du nie erreichen wirst), verkehren diese aber metaphorisch
in melodramatische Handlungssegmente. Die Abwesenheit anderer Menschen,
für die diese bildlichen Psychopharmaka fabriziert sind, und der
rein illusionäre und auf Wirklichkeitsvorspiegelung hin inszenierte
Schmus wird etwa in einen Handlungsverlauf übersetzt, in dem eine
Figur fortgegangen ist und die andere ihr nachtrauert.
Oder - was, wenn ich recht sehe, Thema sowohl in "Bianca - Wege zum
Glück" als auch "Julia - Wege zum Glück" war
- die Hauptfigur landet in einem Gefängnis, das das seelische Gefängnis
von ZuschauerInnen in der Filmhandlung rekonkretisiert.
Oder noch einmal "Sturm der Liebe": Die weibliche Hauptfigur
Laura macht eine Ausbildung zur Köchin und wird von ihrem Ausbilder
ermahnt, zu diesem Gericht werde statt der von ihr verwendeten Spirituose
eigentlich Cognac gegeben. Laura rechtfertigt sich erst, sie experimentiere
eben gern und begründet dann ihre Entscheidung damit, Cognac schmecke
doch so "seifig".
Terminologisch korrekt muss man anmerken, dass es sich bei der Serie -
weil in sich abgeschlossen und auf 100 Folgen konzipiert - nicht um eine
Soap Opera, sondern um eine Telenovela handelt. Für die Merkmale
einzelner Folgen ist das jedoch eher unerheblich. Klartext der "Sturm"-Szene:
Seifiges Zeug, also Soap Operas, sind eigentlich entbehrlich, also nimmt
man besser etwas anderes. Das ist der Humor der Drehbuchredaktion.
Der Humor des Programmdirektors Struve ist es wie von Tuma zitiert, zu
behaupten, "diese bildungsbürgerlich-akademische Attitüde
hinter" sich gelassen zu haben, dies auch zu müssen, denn "sonst
würde man ja zynisch werden."
Um Ironie - wenn nicht um für einen Mann seiner gesellschaftlichen
Position bedenkliche Begriffsstutzigkeit - handelt es sich erstens, weil
die Inhalte von TV-Serien ja nicht von ihren Konsumenten hergestellt werden,
sondern in erster Linie von Akademikern, die sonst arbeitslos wären
und die lieber für gutes Geld Unsinn produzieren, als zum Sozialamt
zu gehen. "Bildungsbürgerlich-akademische Attitüde"
ist in TV-Serien - ganz gleich ob "Gute Zeiten, schlechte Zeiten",
"Alf" oder "SOKO 5113" - allenthalben zu finden.
Sie ist nur halbwegs metaphorisch verschlüsselt und ist nicht nur
beflissen, sondern arrogant. Was zweitens dazu führt, dass wir es
hier mit Zynismus in Reinkultur zu tun haben. Menschen werden dazu
gebracht, etwas zu konsumieren, was sich über sie selbst und z.T.
ihre bildungsmäßigen Unzulänglichkeiten lustig macht.
Struve gehört - ob er die von ihm bezahlten Drehbuch-AutorInnen nun
selbst versteht oder nicht - zu diesem Zyniker-Kartell definitiv dazu.
Oder er ist ein sympathischer Terrorist in den eigenen Reihen der Medienindustrie,
der diese schrottreif produzierte Kultur langsam aber sicher vor die Wand
fahren lässt. Letzteres - diese Prognose wage ich, auch wenn so mancher
schon vor Jahrzehnten damit scheinbar falsch lag - wird passieren.
Fazit: Ein Artikel wie jener von Tuma ist ein erfreuliches Zeichen, denn
der SPIEGEL lässt sich offensichtlich nicht korrumpieren, sondern
redet prinzipiell Tacheles. Auf den zweieinhalb Seiten Nachrichtenmagazin
werden jedoch Inhalt und Form der Serien - und nur das ist ja das konsumierte
Produkt innerhalb der gesendeten Minuten, die jemand vor dem Fernseher
verbringt - auf ein paar Schlagworte reduziert und eine Schilderung von
Realia - Verhalten des Programmdirektors, Programmentscheidungen, Produktionsnotizen
- favorisiert, die sich durch Ironie bequem von dem Phänomen im Ganzen
absetzt. Die Fragen bleiben: Was sind die Inhalte und Formen dieser Serien?
Wie lassen sie sich interpretieren? Und wer interpretiert sie wie? Wer
guckt das? Warum? Was sind die Folgen für den Einzelnen und seine
Mitmenschen? In welchem Verhältnis stehen Inhalte und Rezeptionsweisen
solcher Serien zu anderen gesellschaftlichen Realitäten?
Diese Fragen lassen bequeme Ironie irgendwann nicht mehr zu. Und Letztere
könnte es u.a. sein, die es überhaupt so weit hat kommen lassen.
Während Politiker gerne Solidarität und Konsens beschwören,
durchzieht die kulturellen Produkte unserer Tage eine Kluft zwischen
Mentalitäten und sozialen Gruppen, die öffentlich selten
Erwähnung findet. Ob sich solche Trennungen aufrechterhalten lassen,
scheint mir zweifelhaft.
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