
1
Experiment in Terror
USA 1962.
R: Blake Edwards
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Sony
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2
Experiment in Terror
USA 1962.
R: Blake Edwards
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Sony
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3
Wild at Heart
USA 1990.
R: David Lynch
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Universal
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4
Experiment in Terror
USA 1962.
R: Blake Edwards
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Sony
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5
Wild at Heart
USA 1990.
R: David Lynch
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Universal
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6
The Fugitive Kind
USA 1959.
R: Sidney Lumet
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MGM
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The Fugitive
Kind .
Der Mann in der Schlangenlederhaut. USA 1959.
R: Sidney Lumet
Produktion: Pennebaker Productions
/ DVD: 20th
Century Fox
Experiment
in Terror.
Der letzte Zug. USA 1962.
R: Blake Edwards
Produktion: Columbia / Geoffrey-Kate
Productions / DVD: Sony
Wild
at Heart.
Wild at Heart - Die Geschichte von Sailor und Lula. USA 1990.
R: David Lynch
Produktion: PolyGram / Propaganda
Films / DVD: Universal
Twin
Peaks. Das
Geheimnis von Twin Peaks. USA 1990. R: David Lynch
Produktion: Lynch/Frost / Spelling
Entertainment / Twin Peaks / DVD: Paramount
Blake
Edwards "Experiment in Terror" beginnt mit einer Autofahrt.
Kelly Sherwood (Lee Remick) fährt
zu ihrem Wohnhaus in Twin Peaks, einem Vorort von San Francisco.
Wir sehen das Ortsschild rechts in einer Totalen (Abb. 1),
während ihr Wagen sich von der Kamera entfernt. Noch läuft
die Credit-Sequenz. Das lässt den in den 1990er Jahren sozialisierten
Filmegucker natürlich aufhorchen. So oft taucht dieser Ortsname
in der Filmgeschichte nicht auf; am prominentesten jedenfalls 1990
als Titel der TV-Serie von David Lynch.
Doch
damit nicht genug: Schon in dieser Eingangssequenz lauert die nächste
Szene, die von Lynch fast dreißig Jahre später zitiert
werden wird. Kelly wird in ihrer Garage von einem Mann überrascht
und bedroht, dessen Gestalt hier noch verschattet bleibt. Er erpresst
die Bankangestellte, für ihn 100.000 Dollar zu stehlen; anderenfalls
werde er sie oder ihre jüngere Schwester Toby (Stefanie Powers)
umbringen. Die Szene mit Täter und Opfer ist exzeptionell zeitlich
gedehnt: Nur langsam teilt der Erpresser seine Absichten mit und
umklammert währenddessen den Hals der Frau, die sich ängstlich
nach ihm umsieht, ohne sein Gesicht zu erblicken (Abb. 2).
Diese bildliche Figurenkonstellation ist in der Filmgeschichte keine
Seltenheit. Immer und immer wiederholen sich die Szenen eines sadistischen
Machtverhältnisses, das sich meist über bedrohliche Waffen
an Frauenhälsen artikuliert (siehe im "filmdenken"
die Bemerkung zur ARD-Serie
"Die Kommissarin", 2005). Lynch zeigt dies nach den
sadistischen Orgien in "Blue Velvet" (USA 1986) 1990
in "Wild at Heart", seinem Kinofilm über ein Gangsterpärchen.
Von dessen Komplizen Bobby Peru (Willem Dafoe) wird die weibliche
Hauptfigur Lula Fortune (Laura Dern) in einer Szene stark verängstigt,
bleibt dann jedoch - wie Kelly in dem früheren Film - körperlich
unbeschadet zurück. Hier wird der sexuelle Subtext des früheren
Films in einer stärker ausgeleuchteten Szenerie explizit. Bobby
fordert die Frau des Komplizen auf, "Fuck me" zu ihm zu
sagen. In
Lynchs Serie "Twin Peaks" ist das weibliche Mordopfer
Laura Palmer (Sheryl Lee) dann Ausgangspunkt der weit verzweigten
Handlung.
Im
Verlauf von "Experiment in Terror" erfahren wir, dass
es sich bei dem Gangster um Garland Humphrey 'Red' Lynch (Ross Martin)
handelt. Er ist ein psychopathischer Mörder, der schon wegen
zwei anderer Tötungsdelikte an Frauen gesucht wird. Damit ist
Koinzidenz Nr. 3 gegeben: Der Killer trägt einen Nachnamen,
der zu diesem Zeitpunkt in der außerfilmischen Realität
auch einem 16jährigen David L. zueigen ist. Ob dieser Edwards'
Film schon in seiner Jugend oder erst später gesehen hat, wäre
eine Interviewfrage an ihn. Interessant wäre, ob er es schafft,
"Nein" zu sagen.
Aufschlussreich
ist auch Koinzidenz Nr. 4: Die männliche Hauptfigur von
"Wild at Heart", Sailor Ripley, trägt eine Sonnenbrille
(Abb. 5), die dem Augenschein nach identisch ist mit jener,
die in "Experiment in Terror" in mehreren Szenen Red Lynch
trägt, so mit grimmiger Miene bei einem erpresserischen Anruf
(Abb. 4). (Abb. 5 zeigt Sailor an der Haustür von
Perdita Durango [Isabella Rosselini], die mit ihren blondierten
Haaren in dieser Kameraperspektive wiederum an seine derzeitige
Geliebte erinnert.) Die Sonnenbrille ist nicht nur ein Zitat des
früheren Films, das wie die sadistische Szene ein Vorbild aufruft
und modifiziert. Es sind prinzipiell antagonistische Figuren der
beiden Filme, die durch das Requisit Sonnenbrille miteinander synthetisierend
verbunden sind: Trotz mancher Missetat ist Figur Sailor bei Regisseur
Lynch eine Identifikationsfigur. Bei Regisseur Edwards ist Figur
Lynch der Psycho-Killer. Im historischen Kontext wird damit auch
Sailor ambivalent: Der Regisseur Lynch setzt ihm eine Brille auf,
die in einem älteren Film der Sadist namens Lynch trägt.
Dies
wird ergänzt durch eine weitere Spielerei mit der historischen
Referenz, Koinzidenz Nr. 5: Der Nachname von Sailor ist in
"Experiment" jener des ermittelnden Polizisten John 'Rip'
Ripley (Glenn Ford) - dieser ist der moralisch integre Gegenspieler
von Red Lynch. Damit verkörpert Sailor Ripley die handlungslogischen
Gegensätze von "Experiment" in einer Person. Das
moralische Votum von Edwards' Film, in dem der Gesetzesbrecher vom
Polizisten zur Strecke gebracht wird, wird so zu einer unauflöslichen
Vereinigung der Widersprüche. Sailor ist gut und böse
konnotiert.
Eine
andere Referenz ist in Texten zu "Wild at Heart" schon
des öfteren bemerkt worden: Die bei Sailors anfänglicher
Entlassung aus dem Gefängnis szenisch ausgestellte Schlangenlederjacke
ist das Erkennungszeichen von Valentine 'Snakeskin' Xavier (Marlon
Brando), der 1959 in Sidney Lumets "The Fugitive Kind"
wie Sailor in "Wild at Heart" zu Beginn aus dem Gefängnis
entlassen wird. Die Geschäftsbesitzerin, der er sich zuwendet,
wird von Anna Magnani gespielt, die wiederum schon unter der Regie
von Isabella Rosselinis Vater Roberto vor der Kamera agierte. Die
in der Besetzungsliste von "The Fugitive Kind" als "einsames
Mädchen" bezeichnete junge Frau wird von einer gewissen
Debbie Lynch gespielt, über deren späteren Werdegang leider
nichts in Erfahrung zu bringen ist. Hoffentlich ist es ihr besser
ergangen als den anderen einsamen Mädchen, von denen hier die
Rede war.
Daniel
Hermsdorf
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